Manchmal fühlt man sich so von seinen Problemen überrannt, dass man glaubt, sie fressen einen auf. Wie schön wäre es, sich einfach dem Leben hingeben zu können und darauf zu vertrauen, dass sich alles zum eigenen Wohl fügen wird. Wenn du das Prinzip des Wu Wei verstanden hast, bist du diesem Wunsch ein ganzes Stück näher. In vier Schritten lernst du dem Fluss des Lebens zu vertrauen.
Eines Tages in einem verwilderten Garten begegnete eine Kakerlake einer Schnecke. „Du bist aber langsam unterwegs“, spottete sie. „So kommst du ja nie irgendwo an.“
Die Schnecke fuhr ihre Fühler weit aus. „Wetten, ich bin schneller am Ziel als du?“
Da lachte die Kakerlake und nahm die Wette an.
„Also dann: eine Runde ums Haus. Wer zuerst hier ist, hat gewonnen“, sagte die Schnecke und zog eine Ziellinie.
„Soll ich dir fairerweise Vortritt lassen?“, fragte die Kakerlake.
„Sei nicht albern“, entgegnete die Schnecke. „Auf drei geht’s los. Eins – zwei – drei!“
Und die Kakerlake spurtete davon. Sie kämpfte sich durchs Gras, kletterte durch Gestrüpp und dachte, wie langweilig ein Wettlauf gegen eine Schnecke doch sei. Ich werde wahrscheinlich tagelang auf sie warten müssen, bis sie die Ziellinie erreicht.
Aber da lag sie falsch. Als sie ihre Runde um das Haus beendete, wartete die Schnecke an der Ziellinie.
„Du hast die ganze Zeit hier gewartet!“, fauchte die Kakerlake.
„Ich hab‘ mich schon gewundert, wo du hin willst. Meine Runde ums Haus ist längst beendet“, erwiderte die Schnecke und wiegte ihr Häuschen sanft hin und her.
Was ist die Moral von der Geschicht‘? Du brauchst die ganze Anstrengung nicht! Weil du bereits dort bist, wo du sein sollst.
Und genau darum geht es im Wu Wei: Durch Nicht-Tun (nicht zu verwechseln mit Nichtstun!) kannst du alles erreichen.
Was ist Wu Wei?
Das Wu-Wei-Prinzip entstammt als alte chinesische Lebensphilosophie dem Daoismus. Es besagt, du sollst nichts erzwingen, sonst handelst du gegen deine Natur.
Nur was du mühelos tust, führt schließlich zum Erfolg. Was du hingegen erzwingst, führt dich weg von deiner Zufriedenheit und macht dich somit zu einem Gescheiterten.
Zieh einmal an einem Grashalm, damit er schneller wächst. Er wird reißen. Denn Wachstum braucht Zeit. Und die sollten wir uns nehmen. Zu schnell wachsen zu wollen, ist selbstzerstörerisch.
In unserer Kultur haben wir jedoch schon früh gelernt, uns Ziele zu setzten, Pläne zu schmieden und uns stets fleißig zu optimieren. Wer zufrieden ist mit dem, was ist, wird skeptisch beäugt.
Unsere Wirtschaft ist schließlich auf Unzufriedenheit aufgebaut. Wir sollen unzufrieden sein! Wer würde sonst so viel Geld für seine Selbstoptimierung und für Statussymbole ausgeben?
Wir leben im größten Reichtum, seit Menschen gedenken. Doch sind wir je glücklich damit geworden? Die Generationen vor uns hätten von diesem Wohlstand nur träumen können. Trotzdem können wir ihn nicht genießen, weil uns dieser Wohlstand zu viel abverlangt: Wir laufen einen Endloslauf im Hamsterrad. Nicht nur das. Um konkurrenzfähig zu bleiben, müssen wir immer schneller laufen, sonst überrennen uns die anderen.
Das Prinzip des Wu Wei dagegen soll die Menschen weg von äußeren Einflüssen und hin zu sich selbst führen. Dazu musst du aber dem Fluss des Lebens vertrauen.
Wie vertraut man nach Wu Wei dem Fluss des Lebens?
Dem Fluss des Lebens zu vertrauen klingt wunderbar. Doch wie macht man das?
Schritt 1: Zentriere dich!
Als Erstes ist es wichtig, dass du in deine Mitte findest. Denn wenn du nicht zentriert bist, werden dir die anderen Schritte umso schwerer fallen.
In der Mitte zu sein, bedeutet, im Gleichgewicht zu leben. Du fühlst dich ruhig, entspannt, gelassen und zufrieden. In diesem Zustand triffst du die besten Entscheidungen für dein Leben.
Was bringt dich in deine innere Mitte? Nun ja, für jeden kann das was anderes sein. So haben sich für mich Meditieren, Yoga und Spazieren bewährt.
Um zu sich zu finden, braucht es in jedem Fall Stille. Was könnte dich also zur Ruhe bringen, das du regelmäßig praktizieren kannst?
Schritt 2: Lass los!
Wir pflegen unsere Probleme, indem wir versuchen, über alles die Kontrolle zu erlangen. Doch so funktioniert das nicht. Wenn du dich an etwas festklammerst, klammerst du dich auch an den Problemen fest, die damit verbunden sind.
Sobald du dich mit deinem Eigentum, deinen Gedanken oder deiner Meinung identifizierst, entstehen Sorgen und Probleme. Lerne deshalb loszulassen. Das macht dich innerlich frei.
Was hilft beim Loslassen? Meiner Erfahrung nach ein einfacher Lebensstil. Wenn man sich nicht von Konsum abhängig macht, hat man weniger Geldsorgen, weniger Ängste, weniger Probleme.
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Und wenn das nächste Mal Ängste und Sorgen in dir aufsteigen, erinnere dich daran, sie loszulassen. Nimm sie als das wahr, was sie sind: Emotionen, die kommen und gehen, wenn du sie lässt. Deshalb halte sie nicht fest. Akzeptiere, dass es sie gibt, beobachte, was du empfindest und lass sie ziehen.
Schritt 3: Tu, was du liebst!
Das Nächste, das dir hilft, dich dem Fluss des Lebens hinzugeben, ist so oft es geht, das zu tun, was du liebst. Aber tu es ohne Zwang.
Hast du schon mal Kinder beim Spielen beobachtet? Sie tauchen richtig ein in ihre eigene Welt und vergessen alles um sich herum.
Genauso soll es für dich sein, wenn du das tust, was du liebst. Sei voll bei der Sache, gib dich ihr hin und du wirst spüren, wie leicht die Dinge laufen, wenn du nicht versucht, sie zu erzwingen.
Plane dir dafür regelmäßig Zeit ein. Und dann lass es fließen, wonach auch immer dir ist.
Übertrage diese Leidenschaft auf alle deine Lebensbereiche!
Schritt 4: Vertraue!
Wenn du die ersten drei Schritte in dein Leben integrierst, wirst du merken, dass es dir immer leichter fällt, dem Fluss des Lebens zu vertrauen. Mach dir bewusst, dass das, was du tust, immer das Richtige ist. Folge deinem Herzen, deiner Intuition. Es führt dich zur richtigen Zeit an die richtigen Orte.
Würdest du anderenfalls dein inneres Wachstum erzwingen wollen, kämst du wahrscheinlich zur falschen Zeit am richtigen Ort an. Dann wärst du innerlich noch nicht so weit, um damit umzugehen. Wer zu schnell wächst, nimmt Schaden.
Du siehst es an vielen Beispielen in dieser Welt. Menschen steigen zu größten Erfolgen, Ruhm, Reichtum auf und zerreißen innerlich. Sie sind den Herausforderungen im Innern nicht gewachsen, wenn sie stets auf der Überholspur gelebt haben.
Deshalb lass dir Zeit, so viel du brauchst. Das Leben führt dich dorthin, wo du sein sollst, wenn du dich ihm mit Gelassenheit und ohne Druck hingibst.
Fazit
Einen Wettlauf gegen Kakerlaken kannst du nicht gewinnen, wenn du eine Schnecke bist. Es sei denn, du lernst von der Lebensphilosophie des Wu Wei, wie du deiner eigenen Natur entsprechend handelst. Deshalb:
- Komm in deine Mitte,
- lass los, was dich festhält,
- lebe mit Leidenschaft und
- vertraue darauf, das Richtige zu tun.
📌 Indem du dem Fluss des Lebens vertraust, wirst du immer dort sein, wo du im jetzigen Augenblick sein sollst!
Willst du noch ein bisschen bei dem Thema bleiben, dann empfehle ich dir folgende Beiträge:
- Wu-Wei: Das chinesische Prinzip einfach erklärt
- Wu wei – Die Kunst des Nicht-Handelns
- WuWei Teil 1 und Teil 2
Ansonsten habe ich hier noch einen Beitrag für dich, wenn du ein wenig in die Weisheiten aus dem Yoga eintauchen möchtest: 5 Lektionen für ein gesundes, glückliches Leben (von einem indischen Yogi).
Gerne hinterlasse mir einen Kommentar: Bei welchen Tätigkeiten fühlst du dich im Einklang mit dir? Wobei vergisst du die Zeit und kannst wunderbar abschalten? Was fällt dir schwer beim Loslassen?
❤️ Vielen Dank fürs Lesen und Teilen:
Ein schöner Beitrag, dem ich noch gerne ein paar Dinge hinzufügen möchte.
Der Mensch des Tao oder des „Berufenen, wie es Laotse im Tao te King zu sagen pflegte, hält nicht viel von irgendwelchen Ratschlägen, wie er zu leben hat, oder wie das oben beschriebene erreicht werden kann. Er handelt intuitiv und lebt das Leben des Lebens Willen und nicht um irgendetwas zu erreichen. Er weiß mit der Vergangenheit und der Zukunft nicht viel anzufangen, denn sein Leben findet jetzt statt. In sofern ist vielleicht einer der wenigen Ratschläge die erteilt werden können, ein Leben in der Gegenwart und Vertrauen in die Werkkräfte des Tao. Herzliche Grüße Rainer Schwenkkraus
Lieber Rainer,
vielen Dank für die hilfreiche Ergänzung!
Wer den Daoismus lebt, braucht tatsächlich keine Ratschläge von außen. Er ist im Einklang mit sich selbst und seiner Umwelt.
In unserer lauten, hektischen Kultur ist die Intuition leider für viele kaum mehr wahrnehmbar. Geschweige denn, dass man ihr überhaupt vertraut. Da helfen manchmal kleine Richtungsweiser, um sich frei von äußeren Einflüssen zu machen und wieder bei sich selbst anzukommen.
Dadurch finden wir wieder Zugang zu dem, was im Wu Wei und für jedes andere Lebewesen auf diesem Planeten selbstverständlich ist.
Liebe Grüße
Annabel