Auf einem Hügel unter einem Ahornbaum saß einst eine unglückliche Frau. Das Leben lastete schwer auf ihrem jungen Herzen. Jedenfalls glaubte sie das.
In ihrer Verzweiflung sprach sie zu dem Ahorn: „Warum kann ich nicht so sein wie du? So ausgeglichen und anspruchslos. Ich will immer zu viel.“
Da setzte sich ein Fuchs in ihre Nähe und sagte: „Bei dem kannst du lange auf eine Antwort warten. Bäume sind sehr langsam. Sprich lieber mit mir. Ich bin dir im Wesen ähnlicher. Was hast du für Kummer?“
Erstaunt blickte sie den rothaarigen Gesellen an. Womöglich war sie jetzt übergeschnappt, aber was soll’s, dachte sie sich und fing an zu erzählen.
Ein Mann habe sie wieder einmal enttäuscht. Anfangs wäre er so liebevoll gewesen, dann veränderte er sein Verhalten. Das veränderte sie. Das Liebesglück zerbrach. Vielleicht sei sie zu besitzergreifend gewesen. Daran wäre ihre Familie schuld. Denn damals, als sie noch klein war …
Die Ohren des Fuchses senkten sich ab, während sie sprach. Er vergrub seine Schnauze unter seine ausgestreckten Vorderläufe. Schließlich bedeckte er mit einer Pfote seine Augen. Nach einer Weile rollte er sich auf die Seite. Sie hörte nicht auf zu erzählen. Er wälzte sich auf die andere Seite. Sie redete weiter. Irgendwann blieb er reglos auf dem Rücken liegen.
„… ach, an mich hat doch nie jemand geglaubt. Und das bestätigt sich jetzt. Meine Zukunft ist im A-“
„STOPP, STOPP, STOPP!“, krächzte der Fuchs und sprang auf. Er holte tief Luft. „Wie kann man nur so viele Gedanken im Kopf haben, ohne auf der Stelle tot umzufallen?!“
Die junge Frau sah ihn mit großen Augen an.
„Nichts für ungut, Mädchen, aber wenn ich so viele Gedanken im Kopf hätte, könnte ich keine einzige Maus mehr fangen und würde verhungern.“
Er kratzte sich hinterm Ohr und schüttelte sich, ehe er fortfuhr: „Ich hielt euch Menschen ja immer schon für seltsame Geschöpfe. Doch soeben ist mir ein Licht aufgegangen, warum das so ist. Ihr denkt zu viel! Ich gebe dir einen guten Rat: Such dir einen von diesen – na, wie nennt ihr sie gleich? Diese Typen, die euch den Bauch aufschneiden und eure Organe oder weiß der Geier was herausholen und euch wieder zunähen, damit ihr von eurem Leid befreit seid … Mensch, hilf mir doch mal!“
„Chirurgen?“
„Genau die! Such dir einen solchen und lass den Teil in deinem Kopf herausoperieren, der für diesen ganzen Unfug in dir verantwortlich ist. Danach geht’s dir besser!“
Fassungslos starrte sie den Fuchs an. „Du willst, dass mir jemand das Gehirn herausschneidet?“
„Na, na, na, nicht das ganze Gehirn! Lediglich den unwichtigen Teil, der dich vom Tier unterscheidet. Scheinbar seid ihr bestraft worden mit diesem enormen Gedächtnis, das euch so nachtragend macht, und der vielen Fantasie, die euch immerzu zweifeln lässt. Also weg damit!“
Nach wie vor schaute sie den Fuchs fassungslos an. Was für eine Unverschämtheit, die er da von sich gab!
Der Fuchs erkannte, dass sein Ratschlag nicht gut ankam und lenkte ein: „Das willst du nicht? Dann befürchte ich, wirst du mit deinem Drama im Kopf leben müssen.“
Die junge Frau sah noch elender aus als zuvor. Auch das musste der Fuchs bemerkt haben. Jedenfalls sagte er, wie um sie aufzumuntern: „Hast du vorhin den Schmetterling gesehen, der auf der Blüte vor dir saß und dir mit einem Beinchen zugewunken hat?“
Sie verneinte mit einer Kopfbewegung.
Der Fuchs war enttäuscht, doch er gab nicht auf: „Was ist mit dem Grashüpfer, der vor dir auf und nieder gesprungen ist, um deine Aufmerksamkeit zu erregen?“
Erneut schüttelte sie traurig den Kopf.
„Hast du wenigstens die süße kleine Meise über dir bemerkt, die nur für dich gesungen hat?“
Kopf schütteln.
„O weh. Und die Sonne?“, versuchte er es weiter. „Spürst du, wie sie dich mit ihren warmen Strahlen kitzelt, um dir ein Lächeln abzuringen? … Auch nicht? Hmm …“
Obwohl der Fuchs sich alle Mühe gab, sie aus ihrer Grübelei herauszuholen, gelang es ihm nicht. Bevor er sich auf und davon machte, fragte er, nur, um sicherzugehen: „Aber mich siehst und hörst du?“
Jetzt nickte sie.
„Nun gut, das ist eine Eigenschaft, die euch Menschen eint. Zwar scheint ihr blind zu sein für die Schönheit, die euch umgibt. Doch ihr habt die Fähigkeit, das, was ihr euch einbildet, zu eurer Realität zu machen. Wie wäre es, wenn du diese Gabe nutzt, um dir eine freudvolle Realität zu erschaffen?
Ich verrate dir jetzt etwas: Der sprechende Fuchs ist nur ein ulkiges Spiel deiner Gedanken. Eine Einbildung, sozusagen. In Wahrheit sprichst du mit deinem eigenen Geist. Kein anderes Lebewesen auf diesem Planeten kann so viel Freude mit seinen Gedanken haben. Warum verschwendest du diese Begabung mit Trübsinnigkeiten? Du bist der Produzent deiner Gedanken – niemand sonst. Also hab Spaß mit ihnen, auf welche Art auch immer!“
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Wenn du ansonsten von einer perfekten Welt träumst, lege ich dir diesen Beitrag ans Herz, damit du nicht den Fehler begehst, den auch ich einst gemacht habe. Denn der hindert uns am Glücklichsein!
Titelbild von Pixabay (aus Bild 1 & 2) | bearbeitet durch Autorin
So eine schöne Geschichte, perfekt vor dem Schlafengehen – vielen Dank, auch für deine liebevolle Schreibe.
Herzlichen Dank, liebe Sabrina, dein Kompliment freut mich sehr! 😊