Du sitzt gerade mit deinen Freunden und ein paar neuen Bekanntschaften fröhlich plaudernd beim Picknick. Die Sonne lächelt dir ins Gesicht. Du hast richtig gute Laune.
Auf einmal feuert sie jemand auf dich ab – die Frage, die eine finstere Wolke vor deine innere Sonne zerrt: „Und? Was machst du so beruflich?“
In diesem Moment fühl es sich an, als ob jemand am Zugschalter zieht und das Licht in dir ausknipst. Dein eben noch glücklicher Gesichtsausdruck fällt in sich zusammen. Ich bin doch gerade dabei, mich zu amüsieren. Musst du mich jetzt an die Arbeit erinnern?!
Etwa die Hälfte der deutschen Berufstätigen ist unzufrieden in ihrem Job. Gründe dafür gibt es genügend:
- schlechtes Betriebsklima, das zu psychischen Problemen führt;
- unterirdische Bezahlung, von der man mit Ach und Krach sein Überleben sichert;
- unflexible Arbeitszeiten ohne Rücksicht aufs Privatleben;
- Arbeitsbedingungen, die die Gesundheit gefährden;
- die Angst vor Altersarmut, weil die Rente womöglich nicht reichen wird …
Das Leben scheint voller Entbehrungen zu sein. Die Familie und eigene Interessen stehen stets hintenan. Und zum Schluss gibt’s den Arschtritt in Form einer lausigen Rente plus Altersgebrechen, die uns den Lebensabend erst richtig ungemütlich machen.
Wer, bitte schön, möchte in seinen glücklichen Stunden an diesen Schlamassel erinnert werden?
Die Frage nach dem Beruf ist unsensibel
Der berufstätigen Hälfte, die mit ihrem Job nicht leidenschaftlich vermählt ist, könnte die Frage nach dem Beruf eher unsensibel erscheinen. Ganz zu schweigen von denen, die womöglich ihre Arbeit verloren haben oder krankheitsbedingt nicht mehr ausüben können.
Weil diese Frage aber häufig gestellt wird, suggeriert sie, man müsse in seiner Arbeit aufgehen und sich bestenfalls noch verwirklichen. Das baut enormen Druck auf und stellt sogar das eigene Leben infrage: Sollte ich mehr Bedeutung in meinen Broterwerb legen? Wie finde ich den einen Beruf, der mich vollkommen erfüllt? Kann ich als Drehbuchautorin, Tänzerin oder Designerin für Glitter-Sticker tatsächlich meinen Lebensunterhalt verdienen?
Möglich ist in der Theorie alles. Doch ist es das für jeden?
Es spielen so viele Faktoren eine Rolle, ob jemand seinen Traumberuf ausführen kann oder nicht. Wie soll jemand ein erfolgreicher Basketballer werden, der 1,50 m groß ist? Wie schafft es jemand aus mittellosen Verhältnissen an eine renommierte Universität, um Anwältin zu werden? Wie soll jemand sich in die Selbstständigkeit wagen, wenn er oder sie nicht einmal das Einkaufen im Supermarkt allein bewältigen kann, weil Mama das bisher immer übernommen hat?
Träume kann man viele haben, aber leider hat nicht jeder die Voraussetzungen, um daraus eine Karriere aufzubauen.
Manche suchen ihre Erfüllung lieber in ihrer Freizeitgestaltung und räumen ihrem Beruf keinen hohen Stellenwert (mehr) ein. Sie werkeln vielleicht in ihrem Privatleben an ihren Träumen, weil sie keinen Weg sehen, wie sie ihre Miete mit ihrer Leidenschaft für Bonsaipflege, Waldfotografie oder Handtaschenentwürfen verdienen können.
Die Frage nach dem Beruf schmeckt dann natürlich besonders bitter, wenn dieser nur ein Mittel zum Zweck ist.
Was verbirgt sich hinter der Frage nach dem Beruf?
Stell dir vor, du besuchst einen Schokoladenkurs, um selbst eine süße Köstlichkeit herzustellen. Während du dich mit deiner Création abmühst, bemerkst du, wie der Teilnehmer neben dir mit Leichtigkeit raffinierte Pralinés formt. Dabei unterhält er alle mit witzigen und wissenswerten Einschüben über die Chocolatierskunst. Der Kursleiter spielt ihm sogar immer wieder den Ball zu. Du überlegst, ob er vielleicht zum Unternehmen gehört und zur Bespaßung der Kursteilnehmer mit eingespannt ist. Weil er dir sympathisch ist, fragst du ihn bei nächster Gelegenheit danach.
Wie reagierst du, wenn er dir erklärt, dass er einen Güllelaster fährt, um sich und seine Familie zu ernähren? Verändert sich dein Blick auf ihn?
Und stell dir vor, du wärst ihm auf einer Raststätte begegnet. Hättest du dich je für den Menschen hinter diesem Güllelasterfahrer interessiert?
Wie würdest du ihn wahrnehmen, wenn er dir erklärt hätte, er wäre Banker? Hättest du dann ein anderes Bild von immer noch demselben Menschen?
Was ändert sich, wenn du hörst, er sei Krankenpfleger, Lehrer, Florist oder Account Manager? Und was, wenn er den Beruf (egal welchen) nur deshalb macht, weil er nicht weiß, wie man autark überlebt?
Was willst du wirklich wissen, wenn du jemanden nach seinem Beruf fragst? Wie beeinflusst die Antwort den Verlauf der weiteren Kommunikation?
Hängt das Interesse an anderen Menschen vom Beruf ab? Oder ist es manchmal nicht sogar spannender, nicht zu wissen, womit jemand seine Brötchen verdient, weil man dann unvoreingenommener ist?
Gerne teile mir deine Meinung in einem Kommentar ganz unten mit!
Welche Frage man stattdessen stellen könnte
Ich kann nur für mich sprechen: Wenn mir jemand seinen Beruf verrät, weckt das nicht unbedingt Interesse bei mir. Mir ist bewusst, dass jeder auf irgendeine Art seinen Lebensunterhalt verdienen muss. Und wenn das die einzige Motivation für den Job ist, ist das für mich selbstverständlich, aber nicht besonders interessant. Außerdem besteht die Gefahr, dass ich sogar falsche Schlüsse ziehe, die über Sympathie und Antipathie entscheiden. Das geschieht ganz unbeabsichtigt.
Sieht mein Gegenüber jedoch mehr in seiner Arbeit als das Geldverdienen, werde ich aufmerksam und höre sehr gerne zu. Denn was ist inspirierender, als wenn jemand voller Begeisterung über etwas erzählt?
Da ich aber nicht hellsehen kann, möchte ich mein Gegenüber gar nicht erst mit der Berufsfrage konfrontieren. Denn die Chance, dass mein Gesprächspartner seine Tätigkeit als wirklich erfüllend wahrnimmt, ist nicht unbedingt hoch. Deutschland ist in beruflicher Hinsicht Frustweltmeister. Wenn ich demnach Pech habe, lässt sich jemand detailliert über seinen verhassten Job aus und die gute Laune welkt dahin wie eine Sonnenblume im Schatten. Keine gute Idee für den Small Talk!
Also warum nicht lieber danach fragen, was jemand gerne tut? Ob die andere Person dann über ihre Berufung erzählt oder über ihre Leidenschaften in der Freizeit, ist ihr selbst überlassen. Das Gespräch wird auf jeden Fall in eine positive Richtung verlaufen. Dies hebt auf beiden Seiten die Stimmung und gibt uns Energie. Gleichzeitig erfahren wir viel mehr über den anderen. Denn mit guter Laune lässt sich schließlich viel besser plaudern!
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Was sagst du dazu? Sprichst du gerne über deinen Beruf oder nervt dich die Frage im Small Talk? Und in welchem Lebensbereich findest du deine Erfüllung?
Wenn du jetzt deinen Arbeitsplatz auf die fünf Zufriedenheitskriterien überprüfen möchtest, empfehle ich dir zum Weiterlesen meinen Beitrag: Arbeitsfrust: Mit so einem Job ist selbst der Montag schön!
Möchtest du wissen, wie du dich gegenüber den Erwartungen deiner Eltern auch im Erwachsenenalter abgrenzen kannst, um deinen eigenen Träumen zu folgen, dann schau gerne in meinem letzten Beitrag vorbei: Wenn die Erwartungen deiner Eltern dich belasten (auch hier spielt Schokolade eine kleine Rolle; keine Ahnung, wieso es mir die süße Kunst gerade angetan hat 😉).
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Beitragsbild von Pixabay
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