Wie frei sind wir mit unserer Meinung?

Wie frei sind wir mit unserer Meinung?

Sich eine unabhängige Meinung zu bilden, ist harte Arbeit. Sie kostet Zeit und Engagement. Selbst wenn wir uns diese Zeit nicht nehmen, können wir sofort zu allem unseren Senf dazugeben. Ob süß oder scharf, das kommt auf das Thema an. Doch wie frei sind wir eigentlich mit unseren Ansichten? Und wie können wir zu unabhängigerem Denken gelangen? Ich zeige dir den komplizierten und den einfachen Weg!

Bevorzugst du deine Schokolade aus dem Kühlschrank? Ernährst du dich omnivor, vegetarisch oder vegan? Wie stehst du zur Impfung? Was sagst du zum Gendern? Welche politischen Parteien sprechen dich an?

Zu allen möglichen Themen wird uns eine Meinung abverlangt. „Ich weiß nicht“ gibt’s nicht. Man muss sich entscheiden. Und aus Bequemlichkeit entscheiden wir uns meist für das, was wir kennen. Das kann vom Umfeld vorgeprägt sein. Oder auf Gewohnheiten beruhen. Egal, Hauptsache, wir haben einen Standpunkt, den wir verteidigen können. Denn mit Standpunkt wirken wir standfest. Wir zeigen Persönlichkeit. Erscheinen gebildet.

Doch es gibt einen Haken. Vielleicht auch zwei. Oder drei …

Wie bildet sich unsere Meinung?

Unser Gehirn hat eine Leidenschaft: das Sammeln. Es sammelt von Kindheit an sämtliche Informationen aus unserer Erziehung, dem Umfeld, dem erlernten Wissen und den gemachten Erfahrungen. Dem sind wir meist zufällig ausgesetzt. Oder hast du bewusst entschieden, wo, unter welchen Umständen und mit wem du aufwächst?

Aus all diesen gesammelten Eindrücken fügt sich schon früh im Leben unser Weltbild zusammen. Und daraus formt sich wiederum unsere Meinung, die darüber entscheidet, wie wir denken und handeln.

1. Haken: Unsere Meinung bildet sich aus den unwillkürlich abgespeicherten Informationen, die das Hirn im Laufe des Lebens angesammelt hat.

Was passiert im Gehirn, wenn es sich eine Meinung gebildet hat?

Wenn wir von etwas überzeugt sind, sucht unser Supercomputer unter der Schädeldecke nach Bestätigungen dieser Überzeugung. Das bedeutet, dass es vor allem die Informationen in unser Bewusstsein lässt, die unsere Weltsicht untermauern. Der Rest wird als unwichtig eingestuft und aussortiert. Man spricht in der Psychologie von selektiver Wahrnehmung. Ohne diese würden wir durchdrehen, weil zu viele Eindrücke unsere Aufmerksamkeit bombardieren würden.

2. Haken: Das Gehirn entscheidet darüber, welche Informationen unser Bewusstsein erreichen.

Lässt sich die Überzeugung manipulieren?

So leistungsfähig unsere Maschine im Kopf auch sein mag, eines ist sie definitiv nicht: frei von Fehlern.

Vor einiger Zeit stieß ich auf ein interessantes Experiment einer jungen Rechtspsychologin. Julia Shaw manipulierte auf geschickte Weise die Erinnerungen ihrer Versuchsteilnehmer, sodass sie am Ende mehrerer Sitzungen davon überzeugt waren, in ihrer Jugend eine Straftat begangen zu haben. Damit beweist sie, wie einfach das Gehirn auszutricksen ist.

Wer die Mittel der Manipulation beherrscht, kann somit jeden von allem überzeugen.

3. Haken: Die angesammelten Informationen in unserem Hirn können gefälscht sein.

📌 Wenn wir glauben, unsere Meinung frei gewählt zu haben, dann liegen wir oftmals falsch. Denn im Großen und Ganzen sind wir zufällig zu unserer Überzeugung geraten.

Wie erlange ich freies Denken?

Wenn wir erst einmal verstanden haben, dass nur ausgesuchte Informationen in unserem Bewusstsein landen, weil unser Hirn sie für wichtig hält, sind wir schon einen Schritt näher an der Freiheit. Denn wir verstehen dadurch auch, dass ein anderes Gehirn durchaus andere Entscheidungen trifft. Weder das eine noch das andere Bewusstsein hat den vollen Durchblick.

Da wir aber als Menschen die Möglichkeit zum freien Denken haben, kannst du natürlich davon Gebrauch machen. Es ist nur etwas unbequem und aufwendig. Denn du müsstest zunächst deinen Denkapparat von einem anderen Standpunkt überzeugen. Das heißt, du brauchst Zeit, dich mit den gegensätzlichen Ansichten vertraut zu machen. Dies könnte dir jedoch Probleme bereiten, wenn dir diese fremden Positionen zuwider sind, weil du sehr überzeugt von dem Bild bist, das dein Hirn in dir aufrechterhält.

❗️ Aber aufgepasst! Es geht nicht darum, eine andere Überzeugung zu bekommen, sondern die Offenheit zu entwickeln, nicht das eine zu verteufeln und das andere für die absolute Wahrheit zu halten.

Um dir freies Denken zu ermöglichen, musst du dich von der Vorstellung befreien, recht zu haben. Wenn dir klar ist, dass du in dem, was du weißt, im Dunkeln tappst, bist du der Freiheit noch einen Schritt näher. Denn die Realität ist, dass du im Grunde nichts weißt.

Wenn dich dieser Gedanke in Wut versetzt, dann deshalb, weil wir Menschen so angelegt sind, dass wir Unwissenheit mit Kontrollverlust verbinden. Ohne unser Wissen haben wir nichts, das uns Sicherheit gibt. Doch das ist es, was wir verstehen müssen: Es gibt keine Sicherheit. Jeden Tag könnte das Universum verpuffen und weg sind wir. Warum auch nicht? Wir wissen ja nicht einmal, was das Universum von außen betrachtet überhaupt ist. So unwissend leben wir!

Ein positiver Effekt der Unwissenheit

Wenn wir nicht von unseren Meinungen eingeschränkt werden, gehen wir mit größter Neugier durchs Leben. Sobald wir aber anfangen zu glauben, dass wir über etwas Bescheid wissen, verengt sich diese Wahrnehmung wieder.

(Bild von Pixabay*)
Eine fliegende Tasse würde uns verstören, ein Kleinkind jedoch nicht

An Kleinkindern können wir beobachten, wie sie ihre Umgebung mit voller Aufmerksamkeit erforschen. Denn sie haben sich von der Welt noch keine Vorstellung gemacht.

Was glaubst du, wie würden sie reagieren, wenn eine Teetasse vor ihren Augen plötzlich in die Luft steigen würde? Sie würden gespannt zusehen, nicht wahr?

Und wie würdest du auf die fliegende Teetasse reagieren? Du würdest an deinem Verstand zweifeln oder nicht? Weil deine Vorstellung von der Welt dir sagt, dass fliegende Tassen nur existieren, wenn eine wutentbrannte Ehefrau sie ihrem Gatten hinterherschmeißt.

Für kleine Kinder sind alle Möglichkeiten offen. Sie wissen noch nicht, dass Teetassen sich nicht ohne Weiteres in die Lüfte erheben. Erwachsene dagegen sind in dieser Hinsicht abgeklärt. Leider bilden sie sich auch vorschnell eine Meinung über die Dinge, mit denen sie sich noch gar nicht intensiv beschäftigt haben. Und das schränkt ihre Aufmerksamkeit ein.

Das ist problematisch, denn es bedeutet den Verlust des freien Denkens.

Freies Denken können wir nur dann erreichen, wenn wir unsere Meinung als das akzeptieren, was sie ist: eine Überzeugung ohne Anspruch auf Wahrheit.

📌 Erst wenn du weißt, dass du nichts weißt, öffnest du dich allen Möglichkeiten mit größter Aufmerksamkeit. Das ist der positive Effekt der Unwissenheit!

Willst du überhaupt frei denken?

Du siehst, es ist nicht ganz einfach für das Ego frei zu denken. Es muss akzeptieren, dass ihm zur absoluten Wahrheit der Durchblick fehlt.

Erst wenn du dich intensiv mit den verschiedenen Blickwinkeln auseinandergesetzt hast, bist du in der Lage, dir deine freie Meinung zu bilden.

Die Frage ist: Willst du dir diese Mühe zumuten? Dann hast du das Zeug zum freien Denken.

Es gibt aber noch einen einfacheren Weg: Wenn dir die Zeit fehlt, dich so intensiv mit allen möglichen Anschauungen auseinanderzusetzen, reicht es aus, wenn du deine eigene Meinung nicht zu verbissen siehst. Bleib locker und cool in dem Bewusstsein, dass andere die Welt durch andere Augen sehen. Jeder Mensch ist unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt, die sich im Hirn manifestieren. Wenn du das akzeptierst, bist du frei.

***

Wie wichtig ist dir deine freie Meinungsbildung? Und was hältst du von der Aussage, dass man ohne eine Meinung uneingeschränkter denkt?

Wenn du Lust hast, weiter zu lesen, dann empfehle ich dir: Manipulation: So wirst du beeinflusst (und wie du dich davor schützt)


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Titelbild von Pixabay

* bearbeitet durch Autorin (aus Bild 1 & 2)

❤️ Vielen Dank fürs Lesen und Teilen:

3 thoughts on “Wie frei sind wir mit unserer Meinung?

  1. Rebecca says:

    Liebe Annabel,
    wieder ein hilfreicher und interessant zu lesender Artikel von Dir! Mich beschäftigen gerade Denkfehler im Umgang mit Geld besonders und da fand ich Deinen Hinweis wichtig, Offenheit gegenüber Informationen zu kultivieren, die der eigenen Meinung (scheinbar) widersprechen. Aber wahrscheinlich würde es uns allen generell gut tun, anderen Meinungen wieder etwas mehr Interesse entgegen zu bringen 😉
    Herzliche Grüße
    Rebecca

    • Annabel says:

      Liebe Rebecca,

      das freut mich sehr, dass mein Artikel für dich hilfreich war. 🙂

      Ich finde auch, es täte uns allen gut, wenn wir uns andere Meinungen anhören, ohne die eigene als das Maß der Dinge zu betrachten. Teilweise ist das ja ein richtiger Sport geworden, andere Ansichten niederzuringen. Dabei können vernünftige Diskussionen nur entstehen, wenn man den Respekt füreinander aufrechterhält und die anderen Standpunkte als mögliches Korrektiv zur eigenen Meinung versteht. 😉

      Viele liebe Grüße

      Annabel

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